Sonntag, 8. April 2012

Du und Ich



Uns mangelte vieles, das wusste ich, ein einheitliches Weltbild, ein einheitliches, auf das Wohl aller Menschen ausgerichtetes Bewusstsein, das auf Liebe basierte. Hier ging es doch nur um den Krieg. Nicht weit von hier gab es irgendwo im Wald versteckt amerikanische Stützpunkte, amerikanische Waffen, die hier eigentlich nichts verloren hatten. Wenn es um den wirklichen Reichtum gingen würde, dann so sagte ich mir, bräuchten wir keine Waffen. Doch die Menschen sollten in erster Linie die anderen angreifen, das Feindbild war aber nach dem Fall der vielen Mauern nicht verschwunden, es war da geblieben und durch ein anderes ersetzt worden, die Menschen in noch strengere Gefangenschaft gestellt worden als bisher und nur  darum gingen die Menschen, Einheimische und Touristen, auf einander los. Sie kannten sich noch immer nicht, wussten nicht, was da in ihren Inneren sich abspielte, sie wussten nicht, wer sie waren, warum sie hier waren, was sie brauchten und was nicht, hatten möglicherweise ihre gesamten Ziele aus den Augen verloren, sich selbst verloren wie ein Teil der Menschheit und ließen sich am Gängelband von einer unbekannten Gruppe führen, deren eigentliches Ziel sie gar nicht kannten. Sie hockten vor der Kiste und ließen sich berieseln. Sie saßen hier im Caféhaus und ließen sich bedienen. Sie waren der Meinung, dass sie dies verdienten, weil sie noch immer ausreichend Geld besaßen, Macht hatten, wenn auch geringe, und diese wollten sie behalten. Sie wussten nicht, dass man auch dienen musste, selbst Hand anlegen sollte, sie wussten nichts mehr von einer Verantwortung für sich, die Seinigen, die ihnen umgebenen Menschen. Wie konnten sie es auch. Nicht umsonst saß neben diesem Mann und der Frau ein Kind, das nicht normal redete, irgendwelche Wortfetzen brülle, sich eine Dreck um die hier anwesenden Cafehausgäste scherte und laut mit seinem Handy und Ninetendo spielte. Die Eltern waren froh, dass der Junge endlich Ruhe gab, dass man sich um ihn nicht mehr kümmern musste, dass er Gott sei Dank stundenlang aß und in sich hinein stopfte. Endlich hatten sie mal Zeit, wäre da nicht dieser lästige Partner gewesen, der einem da überfiel mit seinen privaten und beruflichen Problemen. Bei sehr vielen Urlaubsreisen wird gestritten, bei zahlreichen Erholungstrips geht die Beziehung, die Ehe in Brüche, kein Wunder, wenn die Menschen des Westens, die zivilisierte Bevölkerung auf sehr vieles vergessen hatte. Hier im Osten gab es noch Weisheit zu finden, hier konnte man noch auf das Gute stoßen, auf Menschen, die noch begriffen und verstanden. Das war es, was der Westler, so könnte ihn man nennen, hier erfahren konnte. Nicht, dass es Weisheit und Klugheit nicht im Westen gegeben hätte. Hier war noch ein Teil dieser alten Ordnung erhalten geblieben, konnte man noch in einen Spiegel blicken und ein Spiegelbild erkennen. Es liefen hier noch nicht lauter geklonte Menschen herum, alle gleich aussehend, alle gleich denkend und fühlend, alle gleich programmiert. Hier gab es noch eine Chance zu erkennen, was getan werden sollte jetzt und in naher Zukunft, weil – diese Menschen hier viel Schlimmes erdulden mussten durch eine bestimmte Ideologie und weil diesen Menschen noch die Erinnerung geblieben war. Man konnte sie noch befragen, sich mit ihnen unterhalten, die anderen hier kannten nur mehr den Westen von einer bestimmten Seite, die wussten zu wenig. Das war eine der vielen Chancen für Menschen aus Ost und West, um einen neuen Weg zu beschreiten. Man sprach die Dinge offen aus, man diskutierte, man suchte neue Wege, in erster Linie mal seinen eigenen Weg, man kopierte nicht, drängte niemanden etwas auf – und man erkannte auf beiden Seiten, dass es nicht richtig war, eine Ideologie zu Fall zu bringen und sie durch eine andere zu ersetzen. Mit einer Ideologie durfte das nicht geschehen, sie einfach aufs Podest zu setzen, schon gar nicht auf das höchste Podest. Weder eine Religion noch eine Ideologie sollte irgendwohin gestellt werden und es sollte auch keine Statuen für sie errichtet werden, stattdessen sollten uns Menschen aus Ost und West tagtäglich klar sein, dass wir alle in einem Boot saßen und gemeinsam irgendwohin trieben, dass wir zusammen gehörten wie die einzelnen Teile eines Kreises und dass es einen Platz gab, der in diesem Kreis besonders wichtig war, der leere Platz! Es musste so ein leeres Fleckchen geben und es hatte einen enormen Stellenwert. Dieser leere Platz verkörperte die Offenheit. Er sorgte dafür, dass alles im Leben offen war, offen für Lösungen, von denen wir heute nicht mal träumen konnten. Dieser eine Platz musste da sein, immer vorhanden sein, denn er erinnerte uns daran, dass wir keiner weiteren schlimmen Illusion bedurften, wir brauchten keine Ideologien, auch keine, die alle ablöste und alle ersetzte, denn Ideologien basierten auf der Kontrolle über andere und das war schlecht für uns alle. Stattdessen sollten wir bei jeder Zusammenkunft uns eingedenk sein, dass wir in einem offenen System lebten, dass wir dem Leben gegenüberstanden und nicht einem von Menschen geschaffenen Werk, etwas, was wir selbst nicht geschaffen und somit nicht zerstören konnten. Das Leben war uns geschenkt worden, dass wir es nutzten, nicht aber zerstörten – und wir Menschen aus Ost und West hatten es bisher nur zerstört, überall auf dem gesamten Erdball hatten wir Leben zerstört. Damit sollte ein für alle Mal Schluss sein. Darum brauchten wir zur Erinnerung diesen einen Platz, diesen leeren Raum, denn er schenkte uns allen eines, Offenheit. Es gab eine Lösung, sie war da, zwar noch nicht sichtbar, aber es gab sie.