Du und Ich
Uns mangelte vieles,
das wusste ich, ein einheitliches Weltbild, ein einheitliches, auf das Wohl
aller Menschen ausgerichtetes Bewusstsein, das auf Liebe basierte. Hier ging es
doch nur um den Krieg. Nicht weit von hier gab es irgendwo im Wald versteckt
amerikanische Stützpunkte, amerikanische Waffen, die hier eigentlich nichts
verloren hatten. Wenn es um den wirklichen Reichtum gingen würde, dann so sagte
ich mir, bräuchten wir keine Waffen. Doch die Menschen sollten in erster Linie
die anderen angreifen, das Feindbild war aber nach dem Fall der vielen Mauern
nicht verschwunden, es war da geblieben und durch ein anderes ersetzt worden,
die Menschen in noch strengere Gefangenschaft gestellt worden als bisher und
nur darum gingen die Menschen,
Einheimische und Touristen, auf einander los. Sie kannten sich noch immer
nicht, wussten nicht, was da in ihren Inneren sich abspielte, sie wussten
nicht, wer sie waren, warum sie hier waren, was sie brauchten und was nicht,
hatten möglicherweise ihre gesamten Ziele aus den Augen verloren, sich selbst
verloren wie ein Teil der Menschheit und ließen sich am Gängelband von einer
unbekannten Gruppe führen, deren eigentliches Ziel sie gar nicht kannten. Sie
hockten vor der Kiste und ließen sich berieseln. Sie saßen hier im Caféhaus und
ließen sich bedienen. Sie waren der Meinung, dass sie dies verdienten, weil sie
noch immer ausreichend Geld besaßen, Macht hatten, wenn auch geringe, und diese wollten sie behalten. Sie wussten nicht, dass man auch dienen musste, selbst
Hand anlegen sollte, sie wussten nichts mehr von einer Verantwortung für sich,
die Seinigen, die ihnen umgebenen Menschen. Wie konnten sie es auch. Nicht
umsonst saß neben diesem Mann und der Frau ein Kind, das nicht normal redete,
irgendwelche Wortfetzen brülle, sich eine Dreck um die hier anwesenden
Cafehausgäste scherte und laut mit seinem Handy und Ninetendo spielte. Die
Eltern waren froh, dass der Junge endlich Ruhe gab, dass man sich um ihn nicht
mehr kümmern musste, dass er Gott sei Dank stundenlang aß und in sich hinein
stopfte. Endlich hatten sie mal Zeit, wäre da nicht dieser lästige Partner
gewesen, der einem da überfiel mit seinen privaten und beruflichen Problemen.
Bei sehr vielen Urlaubsreisen wird gestritten, bei zahlreichen Erholungstrips
geht die Beziehung, die Ehe in Brüche, kein Wunder, wenn die Menschen des
Westens, die zivilisierte Bevölkerung auf sehr vieles vergessen hatte. Hier im
Osten gab es noch Weisheit zu finden, hier konnte man noch auf das Gute stoßen,
auf Menschen, die noch begriffen und verstanden. Das war es, was der Westler,
so könnte ihn man nennen, hier erfahren konnte. Nicht, dass es Weisheit und
Klugheit nicht im Westen gegeben hätte. Hier war noch ein Teil dieser alten
Ordnung erhalten geblieben, konnte man noch in einen Spiegel blicken und ein
Spiegelbild erkennen. Es liefen hier noch nicht lauter geklonte Menschen herum,
alle gleich aussehend, alle gleich denkend und fühlend, alle gleich
programmiert. Hier gab es noch eine Chance zu erkennen, was getan werden sollte
jetzt und in naher Zukunft, weil – diese Menschen hier viel Schlimmes erdulden
mussten durch eine bestimmte Ideologie und weil diesen Menschen noch die
Erinnerung geblieben war. Man konnte sie noch befragen, sich mit ihnen unterhalten,
die anderen hier kannten nur mehr den Westen von einer bestimmten Seite, die
wussten zu wenig. Das war eine der vielen Chancen für Menschen aus Ost und
West, um einen neuen Weg zu beschreiten. Man sprach die Dinge offen aus, man
diskutierte, man suchte neue Wege, in erster Linie mal seinen eigenen Weg, man
kopierte nicht, drängte niemanden etwas auf – und man erkannte auf beiden
Seiten, dass es nicht richtig war, eine Ideologie zu Fall zu bringen und sie
durch eine andere zu ersetzen. Mit einer Ideologie durfte das nicht geschehen,
sie einfach aufs Podest zu setzen, schon gar nicht auf das höchste Podest. Weder
eine Religion noch eine Ideologie sollte irgendwohin gestellt werden und es
sollte auch keine Statuen für sie errichtet werden, stattdessen sollten uns
Menschen aus Ost und West tagtäglich klar sein, dass wir alle in einem Boot
saßen und gemeinsam irgendwohin trieben, dass wir zusammen gehörten wie die
einzelnen Teile eines Kreises und dass es einen Platz gab, der in diesem Kreis
besonders wichtig war, der leere Platz! Es musste so ein leeres Fleckchen geben
und es hatte einen enormen Stellenwert. Dieser leere Platz verkörperte die
Offenheit. Er sorgte dafür, dass alles im Leben offen war, offen für Lösungen,
von denen wir heute nicht mal träumen konnten. Dieser eine Platz musste da sein,
immer vorhanden sein, denn er erinnerte uns daran, dass wir keiner weiteren
schlimmen Illusion bedurften, wir brauchten keine Ideologien, auch keine, die
alle ablöste und alle ersetzte, denn Ideologien basierten auf der Kontrolle
über andere und das war schlecht für uns alle. Stattdessen sollten wir bei
jeder Zusammenkunft uns eingedenk sein, dass wir in einem offenen System
lebten, dass wir dem Leben gegenüberstanden und nicht einem von Menschen
geschaffenen Werk, etwas, was wir selbst nicht geschaffen und somit nicht
zerstören konnten. Das Leben war uns geschenkt worden, dass wir es nutzten,
nicht aber zerstörten – und wir Menschen aus Ost und West hatten es bisher nur
zerstört, überall auf dem gesamten Erdball hatten wir Leben zerstört. Damit
sollte ein für alle Mal Schluss sein. Darum brauchten wir zur Erinnerung diesen
einen Platz, diesen leeren Raum, denn er schenkte uns allen eines, Offenheit.
Es gab eine Lösung, sie war da, zwar noch nicht sichtbar, aber es gab sie.