Donnerstag, 30. September 2010

TEXTE AUS HINTER MAUERN BAND 10

Eher gehe ich fort aus dieser Firma und gründe meine eigene, als dass ich bereit wäre meine Prinzipien über Bord zu werfen. Aber sie probierte es bei allen ihren Mitarbeitern aus. Wie weit lässt sich ein Angestellter, ein Arbeiter, manipulieren? Wie sehr ist er bereit, auf sich und seine Ideale zu verzichten und jemanden zu Kreuze zu kriechen, nur damit er seinen Job behalten darf? Einerseits braucht sie das, dieses Umwerben und dieses Gefürchtet sein, auf der anderen Seite ist sie ein Mensch und eine Frau und möchte als solche behandelt werden und verachtet diese Menschen, die in dieser Firma angestellt sind. Kannst du dir das vorstellen? Sie spielt ein Doppelspiel, ein hundsgemeines mit diesem Menschen. Sie bringt die Menschen dazu, sich zu erniedrigen, alles hinein zu fressen, den ganzen Frust, den ganzen Mist, den diese Oberen der Firma uns allen eingebrockt haben. Dies weiß sie nur zu gut, dass uns Kleinen keine Schuld trifft, und doch tut sie nichts anderes, als uns diesen Eindruck zu vermitteln. Ihr seid an allem schuld, ihr Arbeiter und Angestellte, weil ihr einen Familie habt, eine Wohnung, was weiß ich habt und eine Stelle in unserer Firma benötigt. Da kommt ihr zu uns und wollt einen gut bezahlten Job. Ihr macht zwar eure Arbeit wie eh und jäh, fleißiger wie zumindest die da oben, macht unbezahlte Überstunden, verzichtet auf vieles, weil ihr hofft, doch noch länger in der Firma bleiben zu dürfen und als braver Arbeiter anerkannt und gewürdigt zu dürfen. Doch alle eure Hoffnungen werden nicht erfüllt. Sie, die da oben sitzt, weiß, dass ihr Auftrag darin besteht, euch die letzten Hoffnungen zu rauben, euch eure kühnsten Träume vom Leben zunichte zu machen. Dies ist ihre wahre Aufgabe, dies weiß sie, darum wurde sie bestellt, und sie tut es. Macht euch die Arbeit zur Hölle, tyrannisiert euch, verachtet euch im Inneren, weil ihr alles hinunter schluckt und gefallen lässt, wo sie doch weiß, dass es besser ist, aufzubegehren. Gleichzeitig weiß sie auch, dass sie selbst unter diesen Umständen leidet, es furchtbar findet, was sie mit ihren Untergebenen macht, was sie dem anderen antut. Und obwohl sie weiß, dass sie Unrecht tut, und den anderen bewusst verletzt und demütigt, vor allem in den Gesprächen mit Gekündigten, an deren Seite zu deren Schutz ja die lieben Leute von der Gewerkschaft sitzen und diese gemeine Frau insgeheim hassen, weil sie den Entlassenen den Todesstoß versetzt, macht sie bewusst weiter, weiß, dass sie verletzt, Unrecht zufügt und weißt du auch warum? Das gleiche passierte ihr als Kind. Sie war ein junges Mädchen und hatte eine schreckliche Familie, das erzählte sie mir erst vor einigen Tagen. Der Vater und die Mutter waren nur geldgierig und hatten nie Zeit für ihre Kinder. Sie besorgten ihr ein Kindermädchen und die Bindung zu diesem war wesentlich stärker als zu ihren eigenen Eltern. So lernte sie als Kind sehr früh den Hass kennen, den Hass auf ihre eigenen Eltern, die sich im Grunde nie beachteten, ihr zwar Geschenke überreichten, es aber nie wirklich ernst meinten. Diese Eltern waren unfähig, jemals wirklich Gefühle zu zeigen ihren Kindern gegenüber. Sie verwöhnten diese Kinder, wenn du so willst, doch meine Chefin, sie war die Jüngste dieser drei Kinder, hat das nie überwunden. Ihre Mutter war Psychologin und hatte als solche kein Fingerspitzengefühl für ihre eigenen Kinder. Als Chefin, so sagte sie mir, könnte sie all ihre Wut an den anderen auslassen, sich selbst heilen. Indem sie diese Mitarbeiten entließ und ich sage dir, es waren nicht wenige, die in unserer Firma gehen mussten, entließ sie ihre Eltern. Immer und immer wieder schickte sie ihre Eltern, diese Mitarbeiter, weg, schickte sie fort und wünschte sie in die Hölle. Das dies eine Projektion von ihr war, sei ihr bewusst. Sie sagte, dass diese Leute auf jeden Fall gekündigt worden wären, wenn nicht von ihr, dann von jemand anderem. Also hatte sie den Job übernehmen und sie war darauf gekommen, ziemlich bald nach ihrer Versetzung hierher, dass sie noch ein Problem mit ihren Eltern, mit ihren Zuhause, ihrer Heimat habe. Es sei ihr völlig bewusst, was sie da tue. Sie betonte noch, dass sie nur die entließ, die es nicht wagten auszubrechen. Sie hasste es, wenn jemand zu unterwürfig war und zu allem Ja und Amen sagte und sich nicht wehrte. Die wurden zuerst entlassen und zusätzlich dann die, die sofort aufbegehrten und sich wehrten und sie hassten. Ich habe ihr damals nur zugehört und sie gefragt, ob sie nicht der Meinung sei, dass sie einen Arzt oder Therapeuten bräuchte. Da schaute sie mich an und lachte, meinte, ob ich verrückt wäre und dieses Gesundheitssystem bei uns nicht verstanden hätte. In unserem Land wurden die Menschen ausgebeutet, die Krankenkassen bluteten schon seit Jahren, man redete vom Sparen und wer sparte wirklich? Man beutete sie aus, die Menschen, betonte sie. Sie habe das selbst erfahren. Früher, vor vielen Jahren wären sie zu allen möglichen Doktoren gerannt und hätte um Hilfe gebeten. Man hatte sie nicht ernst genommen, was zählte war die dicke Brieftasche, die sie hatte. Den meisten Medizinern in unserem Lande geht es nicht um die Gesundheit der Menschen. Sie wollen, dass die Menschen weiterhin krank bleiben, wovon sollten sie denn leben. Wie die große Pharmaindustrie wollten sie abkassieren. Wem lag schon etwas daran, dass der andere gesund wurde? Das wäre ja furchtbar gewesen. Ein Arzt damals hatte ihr reinen Wein eingeschenkt. Er erklärte, man hätte damals all diese Vorsorgeuntersuchungen erfunden, um in den Köpfen der Menschen die Ängste zu schüren, und als Arzt wusste er, was das zu bedeuten hatte. Es gab dadurch noch mehr Kranke. Studien weltweit bewiesen, dass alleine durch Vorsorgeuntersuchungen nur die Krebsrate anstieg und sich keineswegs verringerte. Warum? Ganz einfach, weil diese großen Leute, wie er sie nannte, nichts anderes taten, als Tausende von Ängsten zu schüren und die Menschheit damit zu infizieren. Nun kannst du dir meine Überraschung vorstellen, als sie mir in unserem Gespräch erklärte, dass sie von den Ärzten und Therapeuten furchtbar enttäuscht war. Man bedauerte sie als Gestrandete, als Verwahrloste, als psychisch Gestörte, nannte ihr alle möglichen medizinischen Diagnosen und ließ diese junge Frau blöd sterben. Sie habe damals als junge Frau mitgekriegt, dass es in unserer Welt nicht um Heilung ging. Die Mediziner wollten gar nicht, dass sie gesund wurde. Sie brauchten stets ein Mäntelchen, ein Aushängeschild, damit sie weiterhin wie viele, wie auch sehr viele Politiker und hohen Tiere in der Wirtschaft ihre Ablenkungsmanöver durchziehen konnte. Als sie das mir erzählt hatte, begann meine Chefin vor mir zu weinen. Sie holte den Artikel von dieser Kindsmörderin hervor und sagte weinend, dass sie dieses arme Geschöpf am liebsten freisprechen würde. Stattdessen gehören die Eltern und der Staatsanwalt eingesperrt. Ich konnte nur mitfühlen mit ihr. Sie hat zwar nicht viel über ihr früheres Leben erzählt, nur ein wenig berichtet, aber ich konnte mich in diese Lage eines Kindes hinein versetzen. Man hatte sie wie viele anderen auch links liegen gelassen, das war so üblich. Die meisten Menschen wussten das und auch davon, dass es Jahrzehnte vorher oder sagen wir mal, vor 100 oder 200 Jahren noch schlimmer war. Da waren die Menschen Leibeigene, Sklaven und die Kinder mussten schwer arbeiten. Diese Menschen von heute hatte sicherlich ihr eigenes Schicksal mitgeschleppt und waren wie viele anderen traumatisiert, und eben aus diesem Grund hassten sie die anderen und gönnten ihnen nichts. Diesen Hass zeigten sie in aller Öffentlichkeit und er wurde toleriert und akzeptiert als alleiniger Gemütszustand, dessen man sich vor Publikum zu bedienen durfte. Nein, meine Chefin tat mir in diesem Moment furchtbar leid und ich wusste, dass sie extrem unter der Lieblosigkeit und Brutalität gelitten hatte. Da erinnerte ich mich in jenem Moment, dass sie ja verheiratet, zwar keine Kinder, aber zumindest einen Mann hatte. Als ich auf diesen zu sprechen kam, erläuterte sie mir weiter unter Tränen, dass er sie genauso nicht liebte, er hätte ebenfalls unter seinem Elternhaus gelitten, seine Hassgefühle auf seine Eltern wären so groß, dass er oft nicht in der Lage war, mit ihr als Frau normal zu reden, weil er in ihr unbewusst die verhasste Mutter sah. Ich schwieg zu diesen Worten und meine Chefin berichtete weiter. Sie beide, ihr Mann und sie wären auf ihr Betreiben zu einer wunderbaren Therapeutin gegangen, in der Hoffnung, die Beziehung zu verbessern. Nach wenigen Sitzungen habe sie jedoch begriffen, dass ihr Mann sie und sich selbst und somit auch die Beziehung aufgegeben hatte. Sie sah keine Chance mehr auf Rettung ihrer Ehe. Dann habe sie sich in diese Firma versetzen lassen, in der Hoffnung, dass es ihr besser gehen werde. Man habe ihr eine gute Stelle angeboten, eine entsprechende Bezahlung und zusätzlich, und dabei stockte sie kurz, eine Prämie in Aussicht gestellt, wenn sie so und so viele Mitarbeiter innerhalb eines bestimmten Zeitraumes aus der Firma entfernte. Sie hatte die Stelle angenommen, weil sie eine Arbeit und Ablenkung von ihren privaten Problemen brauchte und hatte zunächst gehofft, dass es hier in der neuen Firma nicht so schlimm werden würde. Leider hatte sich das nicht bewahrheitet. Sie habe noch immer diesen Hass auf ihre Eltern, diese Wut aus ihrer Vergangenheit gespürt und war Menschen begegnet, die sich selbst gegenüber keinerlei Achtung verspürten. Darum habe sie sich nicht gescheut, dieses brutale Regime in der Firma, den neuen Führungsstil zur Rettung und Bewahrung der Arbeitsplätze, so stand es zumindest in den öffentlich Berichten, die an die Bevölkerung verschickt worden waren, zu unterstützen. Sie sprach das laut aus, was ich mir schon lange innerlich gedacht hatte, dass wir alle Unrecht erlitten hatten und weiterhin anderen Unrecht tun würden, ihnen bewusst Schaden zufügten und dass wir dies genau wussten. Wir würden bewusst hassen und töten, denn nichts anderes war es, was diese Firmenchef zurzeit machten, Leute entlassen und sie in den bodenlosen Abgrund stürzen. Das Gesundheitssystem fing sie dann als schwer gestörte Kranke auf und das Sozialsystem sorgte dann dafür, dass sie sich gerade noch am Leben erhalten konnte, nicht verhungerten, aber auch nicht mehr wirklich lebten.
Ich hatte die ganze Zeit dagesessen und Clarissa zugehört. Ich wusste von diesen Problemen hier in Europa, trotzdem hatte ich nicht gedacht, dass es hier schon so schlimm sei. Mit Europa verband ich noch immer diesen Wohlstand, diesen Frieden und die Geborgenheit von früher. Da lauerten kaum Gefahren wie bei uns in Südamerika, keine wilden Tiere, keine Giftschlange, keine Guerillakämpfer, keine Entführungen und kaum Morde. Das letzte Mal als ich hier war, hatte schon die eine Journalistin mich erinnert, dass Europa von einer ungeheuren Welle von Verbrechen heimgesucht wurde. Ich hatte sie nur erstaunt angeschaut, ich hatte da drüben nichts gehört. Gelegentlich sprach man von diversen Neonazigruppen, aber wirklichen Problemen, nein. Die Dame berichtete mir von der schrecklichen Armut überall, den bettelnden Kindern, den Straßenkindern Europas. Ich hatte sie unterbrochen und sie allen Ernstes gefragt, ob sie von Afrika oder einen anderen Kontinent spreche. Nein, erwiderte sie mir, ihr sei es Ernst mit ihrer Aussage. Seit mehr als einem Jahrzehnt werde Europa von einer Pest heimgesucht und sie wolle dieser Krankheit nicht den Namen EU geben. Das wäre zu ungenau und würde nicht den Punkt treffen. Es sei in Europa wesentlich schlimmer, als angenommen werde, und ich war damals sehr erstaunt gewesen. In Europa grassierte die Armut, hockten Familien auf der Straße, gab es Slumkinder, die verhungerten und erfroren, gab es Eltern, die sich nicht um ihre Kinder kümmerten, die sie weggaben, weil ihnen das Geld fehlte, sie großzuziehen. Das erinnerte mich an das 18. und das 19. Jahrhundert, an die Sklaverei.

Dienstag, 28. September 2010

Den Straßenkindern Europas gewidmet, Band 10

GEDICHT

Weiß nicht

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nicht
wer ihr seid
weiß nur
dass ihr seid
hier bei mir.

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nicht
warum ihr seid
darum verlass
ich euch
und das heut.

Kenn nicht Angst
noch Ruh
frag mich
immerzu
was ihr wollt, ihr Leut
habt ihr nichts bereut
dass ihr quälet mich
wenn ihr sehet mich.

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nicht
wer ihr seid
weiß nur
dass ihr seid
hier bei mir.

Nennt euch Mutter mir
wähnt euch Vater hier
seid doch ehrlich
ihr seid fremd
nur mir
soll ich sterben gehn
wollt mich
im Grabe liegend sehn
dies bringt euch allein
Trost und Hoffnung ein.

Dass ich dann
und wann
zu euch, Familie
am Tage kam
dass brachte allen
nur Verdruss
deshalb ich
weichen muss.

Was ihr Liebe nennt
was ihr als Familie kennt
was euch Hoffnung gibt
darauf spuke ich
dass euch dann
und wann
in Erinnrung kam
dass ich Kind noch war
und bei euch noch war
dies stört mich
nicht - mehr.

Lehrtet mich nichts heut
wie ihr es tatet
zu jeder Zeit
war euch längst egal
wie es aussah
überall
eure Welt von heut
ist nicht meine
liebe Leut
dass ihr haltet fest
an dem Dreck, den Rest
damit sie nicht zerbricht
darum haltet ihr
ständig - Gericht.

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nur
dass ihr seid
weiß nur
dass ihr nicht
weichen wollt
doch ihr
sollt.

Sollt verschwinden hier
will hier leben
wie - ihr
will hier leben hier
doch ganz
anders - als
ihr alle hier.

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nicht
wer ihr seid
weiß nur
dass ihr seid
hier bei mir.

Weiß nicht
wer ich bin
weiß nicht
wer ihr seid
darum verlass
ich euch
und das heut.

Werdet nichts mehr sehn
schwarze Fahne
wird jetzt wehen
werdet euch dann fragen
wen solln wir
dann anklagen
wenn ich tot denn bin
sagt – wo
geht ihr dann hin.

Sollt verschwinden hier
will hier leben
wie – ihr
will leben hier
will hier leben hier
doch ganz anders
in meinem Land.

Treibt zum Wahnsinn mich
an den Rand des Wahn-Sinns mich
wo ich euch sage doch
dass ich sterbe noch
gebt erst dann Ruh
wenn ist der Deckel zu
damit sie nicht zerbricht
eure Welt
die nur euch
wichtig ist
obwohl sie so schrecklich ist..

...und kein Platz für mich ist!




Montag, 20. September 2010

DIE STRASSENKINDER EUROPAS BAND 10,

HINTER MAUERN


Ich saß da und schwieg, legte die Zeitung auf den Tisch und dachte nach. Da vor mir lag dieser Artikel über dieses fast 15 Jahre alte Mädchen, das die ganze Familie ausgerottet hatte, ohne mit der Wimper zu zucken hatte sie ihre Mutter erstochen, der Vater war geflüchtet vor ihr und hatte die Polizei verständigt, in der Zwischenzeit hatte sie sich auf ihren verhassten Bruder gestürzt und ihn kaltblütig erledigt. Schaurig war diese Geschichte zu lesen, schaurig deswegen, weil sie in meinen Augen viel zu einseitig geschrieben war. Der Richter hatte heute das Urteil verkündet, zehn Jahre Haft für die Mutter- und Brudermörderin, die später noch den Vater verletzt hatte, als er erschienen war und der genauso wie ihre Mutter nie zu ihr gehalten hatte. Die Mehrheit der Bevölkerung und viele Leser gaben dem Richter recht, manche von ihnen behaupteten noch, dass dieses Urteil viel zu mild war für dieses Kind. Sie war erst knapp 15 Jahre alt und sollte lebenslänglich sitzen. Nein, ich konnte meine Augen nicht von diesem Bild wenden. Gestern erst war ich von einer längeren Südamerikareise zurückgekehrt nach Europa, war wieder in meiner Heimat, meiner Stadt, in der ich geboren worden war und ich der ich so lange gelebt hatte. Doch mich verband nichts mehr mit dieser Welt. Jedes Mal wenn ich zurückkehrte, spürte ich es wieder, noch mehr Leere, noch mehr Sinnlosigkeit, noch mehr Verzweiflung unter diesen Menschen. Sie verspürten kein Mitleid mit diesem armen Geschöpf, klagten dieses Mädchen des zweifachen Mordes an und ergötzen sich an ihrem Unglück. Ich verstand diese Welt, in der ich hier eintauchte immer weniger. Da drüben im südamerikanischen Urwald unter den Eingeborenen, den Indianern, lebte es sich anders. Ich genoss die Stille des Dschungels, die Friedfertigkeit der indogenen Kulturen. Sicher, sie waren nicht sehr reich, begütert wie wir hier in Europa, doch je häufiger ich in diese Zivilisation eintauchte, desto mehr Wellen von Hass und Verachtung dem Leben gegenüber begegneten mir. Clarissa, meine Freundin von der Redaktion hatte mich in Bogota angerufen und gemeint, dass es Zeit wäre, bei ihr vorbeizuschauen. Ich hatte nichts dagegen, zumal ich gerade in der Stadt war und das Bedürfnis nach einer Abwechslung verspürte. Also setzte ich mich in die nächstbeste Maschine und die ging zwei Stunden später und landete heute früh am Flughafen. Nach der Ankunft im Hotel, in dem ich immer abstieg, tätigte ich meinen Anruf bei Clarissa. Sie steckte in einer Besprechung und meinte nur, ich könnte mal zur Abwechslung einen Artikel über Europa schreiben, irgendein interessantes Thema würde ich schon finden. Sie ließe mir freie Wahl. Ich solle mir etwas überlegen und ihr dann telefonieren. Das war alles. Jetzt saß ich in diesem Cafehaus in der Stadt und betrachtete dieses Foto. In jeder Zeitung war ein längerer Artikel über diese Kindsmörderin, die heute verurteilt worden war. Kein Zweifel, sie hatte Schlimmes getan, doch ich hatte keine Lebensgeschichte von ihr gefunden. Wie sie aufgewachsen war, wie sie gelebt hatte in ihrer Familie. Scheinbar interessierte das niemanden hier. Der Richter fragte nicht, wie die Verhältnisse in der Familie waren, fragte sich nicht, warum ein Kind und das war sie noch, warum ein junges Mädchen von knapp 15 Jahren gewalttätig wurde und die Mutter und den Bruder umbrachte und der Vater vor ihr flüchten musste. Ich widmete mich erneut den Artikeln, die da auf meinem Tisch neben dem leeren Glas Wasser lagen. Ich trank prinzipiell nur Wasser. Die Kellnerin hatte mich komisch angeschaut und mich zweimal gefragt, ob ich nicht mehr wollte als nur ein Glas mit einer Flasche Leitungswasser. Wer im Dschungel lebt, so wie ich, ist froh, frisches, reines, klares Wasser zu haben, so wie ich jetzt da. Ich verlangte nicht nach mehr. Sie kam zurück und stellte mir das leere Glas und die volle Wasserflasche hin und wartete. Ich sah sie an und fragte, ob sie noch etwas wolle. Ich erklärte, ich wolle in Ruhe alle Zeitungen lesen, und zwar wirklich alle, die sie habe. Ich sei Journalist und schreibe für eine bekannte Zeitschrift, Reiseerzählungen, Dokumentationen über fremde Länder. Sie ging und kehrte mit einem Stoß von Zeitschriften und Zeitungen zurück, ich dankte ihr und widmete mich dem Lesen. Sie schaute mich wieder merkwürdig an, fragte aus welchen Land ich stamme und tat sehr erstaunt, als ich ihr berichtete, dass ich kein Ausländer, sondern ein waschechter Einheimischer wäre, der ein wenig von der Sonne Südamerikas gebräunt sei. Sie wollte reden über ihre Schwester in Brasilien, die ausgewandert war, da rief sie ihr Chef zu sich und sie verschwand. Mehrmals kam sie und versuchte ein Gespräch mit mir, doch ich wimmelte sie stets ab. Ich wollte lesen, mich konzentrieren auf ein Thema. Ich suchte dieses faszinierende Gefühl, das mich plötzlich stets packte, wenn ich wusste, worüber ich als nächstes schreiben würde. Heute war es anders. Nichts war da, kein besonderes Gefühl, sondern wieder diese Leere, diese Traurigkeit, wie jedes Mal, wenn ich den europäischen Kontinent verbrachte. Ich spürte hier kein Leben mehr, so wie in Südamerika, keine wahre Lebensfreude. Hier war zwar der Reichtum, das Geld vertreten, doch diese Leere war nicht zu übersehen. Nein, dieses innere Gefühl schwieg in mir. Ich blickte wiederholt dieses arme Mädchen an, das sich hinter ihrem Rechtsanwalt versteckte, weil sie Angst hatte. Sie wollte nicht gesehen werden und war über das Urteil sehr verzweifelt. Sie war jung und ich verstand sie. Wenn sie entlassen wurde, war sie 25 Jahre alt, gebrandmarkt als Verbrecherin, abgestempelt und hatte es noch schwerer wie die heutigen Jugendlichen,die eine Arbeit suchten. Wer nahm eine Mörderin, noch dazu eine Muttermörderin, in seiner Firma auf? Sie durfte im Gefängnis die Schule besuchen und eine Lehre machen, das stellte das Gericht ihr in Aussicht, eventuell später als Lagerarbeiterin oder Verkäuferin irgendwo einen schlecht bezahlten Job annehmen, falls sie einen ergatterte. Mehr jeden Falls nicht. Die meisten Menschen hatte sie schon abgeschrieben. Der schwerverletzte Vater, ihn hatte sie zuletzt attackiert, lag im Spital und schimpfte über sie, nannte sie eine Schlampe, die nichts anderes verdient hatte, lobte seinen toten Sohn, der sein Lieblingskind gewesen und stets brav zur Schule gegangen war. Das war alles, was ich über dieses Kind in den Zeitungen zu lesen bekam. Ich lehnte mich erneut in meinem Sessel zurück und dachte nach. Was wäre geschehen, wenn dieses Verbrechen bei meinen Indianern passiert worden wäre. Wie hätten diese sie behandelt, wie sie verurteilt? Plötzlich musste ich laut auflachen über diese dumme Frage. Niemals wäre so ein Mord in einem mir bekannten indianischen Dorf geschehen. Niemals wäre es so weit gekommen, dazu kannte ich die Bevölkerung zu gut. Sie alle waren nicht reich, doch so weit wäre es nie gekommen, Streitereien ja, die gab es, aber auch die Versöhnung, und war es wirklich unmöglich für jemanden, mit dem anderen auszukommen, so zog er in eine andere Hütte und wurde von dieser Familie aufgenommen. Nie war jemand allein, nie wurde jemand seinem Schicksal überlassen. Darum gab es in den meisten indianischen Dörfern kaum Kriminalität und wenn, dann hing das mit unserer Zivilisation zusammen, mit unserer Gier nach Macht und Geld, nach Kontrolle. Nein, in keiner der mir bekannten Dörfer wäre so ein Mord, noch dazu eines Kindes geschehen. Hätte es Zwistigkeiten innerhalb der Familie gegeben, hätte der Vaterbruder oder der Mutterbruder des Mädchens die Sache bereinigt und das Mädchen liebevoll aufgenommen. Aber diese ehrenwerte Gesellschaft hier in Europa erwähnte mit keinem Wort die Vorgeschichte des Mädchens. Wahrscheinlich war es uninteressant zu wissen, wieso ein Kind zu dieser blutigen Tag fähig war. Niemand wurde als Mörder geboren, niemand als Dieb und Drogendealer in die Welt gesetzt, denn das warf man diesem armen Geschöpf auch vor. Es hätte mit dreizehn oder vierzehn zu Drogen gegriffen. Zwar hatte die Verteidigung sofort eingegriffen und erklärt, dass man das Mädchen unter Zwang gestellt hätte und niemand, weder Vater noch Mutter zur Seite gestanden wären, doch der Richter hatte dem Verteidiger keinerlei Beachtung geschenkt, für ihn zählte nur die Tat und die wog schwer in seinen Augen. Mord, zweifacher noch dazu, dazu Drogenkonsum, schwerer Diebstahl und Schulschwänzen.
Ich überlegte wieder lange. Ich suchte ein neues Thema und wenn mich meine Gefühl nicht betrog, so hatte ich es jetzt gefunden, allerdings anders als ich geglaubt hatte. Es war dieses Mal ein anderes Gefühl, dieses Gefühl der Leere, der Verzweiflung und der Traurigkeit den Menschen und dieser Welt gegenüber, und es war befremdlich für mich und doch so vertraut, denn es erinnerte mich wieder an meine Kindheit, wo mich dieses Gefühl andauernd begleitet hatte, sodass ich, als ich erwachsen war, beschlossen hatte, auszuwandern in einen anderen Kontinent, an einen Ort zu ziehen, wo das wahre Leben noch spürbar und erfahrbar war. Dieses Gefühl war nicht das, was mich bewogen hatte, hier zu bleiben und einen Artikel zu verfassen. Innerlich spürte ich aber, dass hinter diesem Gefühl sich mehr verbarg und meine innere Stimme flüsterte mir leise ins Ohr, dass ich es wagen sollte, mit den Augen des Eroberers, des amerikanischen Eroberers die europäische Welt zu betrachten, die Geschichte der Muttermörderin aus den Augen eines Indianers zu betrachten. Was würden diese Wilden, wie wir sie noch nannten, wie die Weißen in Venezuela sie hießen, die bloß im Urwald hockten und nichts taten, was würde ein traditionell lebender Indianer, der sich an den Gesetzen der Natur orientierte und in Einklang mit der Mutter Erde lebte, was würde er zu dieser Geschichte sagen? Würde er Mitleid empfinden für sie? Würde er sich fragen wie ich mich, wie es dazu kommen konnte, dass in einer christlichen Welt, die seit zwei Jahrtausenden die Nächstenliebe predigte, in einem Sozialstaat, wo es ein großes Netz gab, das einen auffing, wenn es einem miserabel ging, ein Kind zu einer Mörderin wurde, Gewalt ausübte und nicht bereute. Im Gegenteil, der Reporter schrieb in seinem Artikel, dass dieses Mädchen gedroht hatte, jeden umzubringen und dies war auch der Grund, warum der Richter ein so hartes Urteil über sie verhängt hatte. Sie hatte nur Hassgefühle für ihren noch lebenden schwer verletzten Vater, der im Spital mit dem Tode rang, Hass auf ihren Bruder und noch mehr Verachtung für ihre Mutter und für die Gesellschaft. Und diese ehrenwerte Gesellschaft wusste, was sie von einer solchen Unperson zu halten hatte. Man verlangte eine Aufhebung des Urteils und eine noch härtere Bestrafung. Ich zuckte unwillkürlich zusammen. Nein, ein echter Indianer würde niemals ein Urteil anzweifeln und ein Urteil aufheben und es noch verschärfen, das passte nicht in das Weltbild eines amerikanischen Eingeborenen. Clarissa würde mich in knapp einer halben Stunde anrufen und mich fragen, ob mir irgendein Thema eingefallen wäre, ansonsten würde sie mir eines vorschlagen. Sie hatte noch gemeint, dass es eventuell angepasst wäre, wenn ich wieder längere Zeit in Europa, in meiner Heimat wohnen würde. Ich konnte mir das nicht vorstellen. Ich war jetzt den ersten Tag hier und verspürte schon das erste unangenehme Gefühl, das mich jedes Mal beschlich, wenn ich in diese verrückte Welt, wie ich diese Zivilisation nannte, zurückkehrte. Ich konnte mich einfach nicht anfreunden mit ihr, so sehr ich es auch versucht hatte. Diese Welt da, in der ich mich bewegte, war nicht meine eigentliche Heimat, in der es sich behaglich wohnen ließ wie unter den Indianern. Ich vermisste diese Freiheit, diese Stille, diesen inneren Frieden, den alle Einheimischen ausstrahlten. Wenn ich hier einem Menschen begegnete, fand ich nur Angst und Verzweiflung und diesen Frust auf das Leben und ungeheure Wut. Langsam erinnerte ich mich, dass ich früher als Kind auch dieses Gefühl mein Eigen nannte, obwohl ich es nie mochte. Es hatte sich meiner bemächtigt, ob ich wollte oder nicht und mich in seinen Bann gezogen. Ich wusste noch, dass mir meine Tante jedes Mal ein Stück Bonbon schenkte, mich in ihre Arme nahm und tätschelte, weil ich, wie sie sagte, viel zu ernst drein schaute. Sie hatte es sofort begriffen, dass ich diese abscheuliche Welt hasste und verachtete, so wie sie, die sich, ich war damals bereits zweimal in Bogota gewesen, in meiner Abwesenheit das Leben nahm, weil sie, wie sie sagte, diese Welt ihr nicht das bieten konnte, was sie sich ihr Leben lang gewünscht hatte, nämlich Liebe und Geborgenheit, Sicherheit und Treue. Stattdessen hatte sie ein schreckliches Leben führen müssen an der Seite eines steinreichen Mannes, meines Onkels, der für nichts und niemanden etwas übrig hatte. Kinder konnte er überhaupt nicht leiden und so stritten sie sich jedes Mal, wenn meine Mutter mit mir auf Besuch kam. Onkel gewöhnte sich aber an mich und nörgelte bald nicht mehr über meine Anwesenheit, weil ich ein ruhiges und braves Kind war, spielte und gleichzeitig den Reden der großen Leute zuhörte. Ich verstand eigentlich alles, was diese sprachen und gleichzeitig begriff ich diese komischen Erwachsenen nicht. Warum taten sie sich alle das an? Warum lebten sie nicht glücklich und gönnten dem anderen sein bisschen Glück? Warum dieser Neid, diese Missgunst, diese Tratscherei und Falschheit und Verlogenheit? Da ich stets so tat, als wäre ich in mein Spiel vertieft, gingen die Erwachsenen davon aus, dass ich kleines Kind nichts mitbekam von ihrem Gespräch und sprachen offen aus, was sie dachten. Zumindest traf dies auf meine Tante zu, darum wurde dann ihr Mann stinksauer, griff zur Weinflasche und betrank sich und meine Tante wurde mit den Jahren immer mehr krank, psychisch krank, wie sie mir eines Tages erklärte. Doch dies würde ich als Kind nicht verstehen, meinte sie. Eigentlich hatte ich schon als Kind mitgekriegt, worum es in dieser Welt ging und darum tat mir dieses arme Mädchen, diese Mutter und Brudermörderin leid. Ich war mir sicher, dass dieses Kind nie beachtet worden war von ihrer Familie. Wahrscheinlich war sie schlecht behandelt worden. Ich konnte es mir nicht anders vorstellen. Die Mutter hatte sie höchstwahrscheinlich jahrelang gequält, sie verbal und physisch attackiert, der Bruder sie gehänselt oder vielleicht selbst zugeschlagen. Was hatte der Vater getan? War auch er ein Täter gewesen wie so viele in unserer Gesellschaft, die nur einfach zuschauten, wenn Kinder missbraucht wurden? Ich kannte ja diese ehrenwerte Gesellschaft zu gut, darum war ich ja geflüchtet und hatte mir ein neues Leben in Amerika aufgebaut, mitten im Urwald lebte ich in jener Harmonie, die mir hier verwehrt worden war. Wahrscheinlich war es diesem Mädchen sehr schlecht ergangen. Vielleicht begann ihr Martyrium schon nach ihrer Geburt. Wer weiß? Sie war ein ungewolltes Kind, die Mutter wollte es abtreiben, doch es war schon zu spät, oder sie wollte einen Knaben und kein Mädchen? Oder das Mädchen hatte Eigenschaften und Fähigkeiten, die die Eltern des Kindes nicht erkannten, sie förderten sie nicht in der Schule, wenn sie regelmäßig zur Schule ging. Sehr viele Eltern heute vernachlässigten ihre Schützlinge, ich wusste dies. Das war unsere moderne Erziehung, unsere neue Welt, die neue Ordnung. Mir wurde jedes Mal speiübel, wenn irgendein Europäer diese Worte in den Mund nahm. In Südamerika waren die Amerikaner nicht in allen Ländern beliebt und diese amerikanische Gier nach noch mehr hatte mich immer abgestoßen. Hier in Europa erlebte ich es immer wieder, wie man diese Wesen von einem anderen Stern, Menschen waren das keine mehr, wie diese Amerikaner auf diesem Kontinent vorgingen, und ich verstand die europäische Bevölkerung nicht. Europa besaß vieles, was in den anderen Erdteilen fehlte, und anstatt dankbar dafür zu sein und diese Schätze zu hüten, gingen die Europäer daran, alles zu zerstören, was man zu einem wahren Leben benötigte. Und darum war mir dieser Kontinent zuwider, und ich hatte nur das Bestreben, wegzugehen, auszuwandern, zu flüchten in eine Welt, die für mich noch in Ordnung war und wo das Leben noch hochgehalten wurde. In den letzten Jahren hatte ich mich jedoch gefragt, ob dies sinnvoll war, auch auf Dauer gesehen, denn es brachte nichts, vor dieser Gewaltbereitschaft, dieser Zerstörungswut und Kriegshetze zu flüchten. Ich glaubte, dass bald ein Punkt erreicht sein würde, wo ich mich fragen musste, wohin mich mein Weg führten sollte, denn ich stand vor einer Straßengabelung. Weiter so zu leben wie bisher, das wollte ich, ich konnte auf den Frieden und die Harmonie, die Liebe und die Freundschaft nicht verzichten, andererseits war diese Gewaltbereitschaft, dieser Hass in unserer Welt so offensichtlich, so deutlich in unserer zivilisierten Welt spür- und erlebbar, dass ich mir sagte, dass ich nicht still dasitzen und schweigen konnte. Auch wollte ich mir nicht das Leben nehmen wie meine Tante und, ich wollte auf keinen Fall psychisch erkranken. Für mich war Krankheit keine Lösung, auch wenn ein Großteil der heutigen Bevölkerung mich ständig daran erinnerte, dass Älterwerden gleichbedeutend sei mit Krankwerden. Mir ging es immer nur um Heilung, um Ganzheit, und zu dieser Ganzheit gehörte nun mal die andere Seite dazu, die weniger angenehme, die Kriminalität, unsere dunkle Schattenseite. Ich war mir jetzt fast sicher, dass ich mein Thema gefunden hatte. Eigentlich hatte es mich gefunden, als ich dieses Bild der Mörderin und Dealerin betrachtet hatte. Warum beging ein Kind einen Mord? Wie musste es in der Seele eines Kindes aussehen, was musste diesem Kind passiert sein, dass es keinen anderen Ausweg mehr sah als zu töten, genau die, die es in die Welt gesetzt hatten? Wie sehr hatte unsere Gesellschaft gefehlt, denn darin war ich mir im Klaren, sie musste, sie konnte nur gefehlt haben, in den Augen des Kindes und auch in meinen, denn wie konnte ein glückliches Kind, das von der eigenen Familie geliebt wurde, zur Mörderin werden?

Mittwoch, 15. September 2010

MA 2412 Teil 2,

Schluss?

Man sieht wie gewohnt das Zimmer im Amtsgebäude in Wien, bei der MA 2412. Herr Klaus sitzt in seinem Weihnachtskostüm in seinem neuen Büro, das frühere Zimmer von der Knackal. Soeben läutet das Telefon. Herr Klaus hebt ab.

Klaus: Amt für Weihnachtsdekoration, hier spricht der Weihnachtsmann….(mehr ist nicht mehr zu hören…)

Es folgt die nächste Szene, das ehemalige Amtszimmer von Herrn Weber und Herrn Breitfuss, jetzt würdiges Arbeitszimmer von drei schwer arbeitenden Mitarbeitern der Stadt Wien. Wieder läutet das Telefon. Ing. Breitfuss, mehr als lässig gekleidet, schlendert schön langsam zum Telefon und hebt gemütlich ab. Es braucht seine Zeit, bis er den Hörer an sein Ohr bringt. Die Reise nach Asien hat es mit sich gebracht, dass er seither jeden Gegenstand dreimal anschaut und fünfmal putzt. Er nimmt den Hörer, wischt ihn zuerst in seiner Hosen ab, dann in seinem Hemd, Frau Knackal beobachtet ihn dabei gespannt und grinst herüber von ihren neuen Schreibtisch, den sie als Belohnung nach der Reise von der Regierung erhalten hat, während Breitfuss den Hörer mit einem Staubtuch zum dritten Mal poliert. Die ganze Zeit läutet es.

Knackal: Na,…heben's schon ab…Herr... Herr OGD!

Breitfuss: Ich hab…ich hab…schau nur mehr…wo diese Viecha, diese Wanzen, sitzen…ja, das bin ich….mit wem habe ich die Ehre…ach Sie, Frau Direktor….ja, hier Ing. OGD Engelbert Breitfuss, Chef für Ufoangelegenheiten von der Internationalen Organisation für friedvolle Zusammenarbeit zwischen Menschen und extraterrestrischen….hm außeririschen Bewohnern….ja, meine Gnädigste…das werde ich für sie tun…(man hört nichts mehr, denn soeben läutet bei Herrn Weber das Telefon)

Weber: Direktor Weber, Abteilungsleiter der städtischen Ausbildung für österreichische Geheimagenten….(auch er spricht und man hört nichts, weil alle drei ziemlich laut reden und einer den anderen übertönt)

Knackal (sitzt alleine da und schaut etwas bekümmert drein): Also…wie soll ich es ihnen sagen…a Frechheit war des schon…wie wir zurück gekommen sind von der….du meine Güte, dieser entsetzlichen Reise…alle haben was gekriegt…nur ich nicht…außer diesen schiachen neuen Schreibtisch, den keiner wolln hat, den haben’s mir angedreht. Um mich…hat sich ja nie einer gekümmert….was sag ich…auf der Reise schon…aber nachher…wie ich in Wien angekommen bin. Alle haben sich auf unseren Herrn OGD gestürzt, die gesamte Presse, und unseren Herrn Weber haben’s als Sänger in den höchsten Tönen gepriesen…und dann…ist nach ein paar Tagen wieder mein Mausizahndi aufgetaucht…o Gott, war des furchtbar. Hat g’sagt, jetzt ist er wieder da…und wart auf mich…und da drüben in China hab ich die schönsten Männer g’habt, …ich mein…g’sehn hab ich sie, und in Japan….nein, dieser…Masa…oder Misuripiktu…oder wie dieser Kerl g’heißen hat…der war ja wirklich süß…nur leider hat der ein kleins Kind g’habt, von 8 Jahren…des hätt mich eigentlich nicht g’stört, nur, dass es von seiner Frau war…des schon…ja, und da drüben hat den Herrn Weber so richtig die Arbeitswut gepackt…sodass er hier in Wien gleich zu meinem Mausizahndi g’laufen ist und um Versetzung angesucht hat. In Zukunft hat er g’sagt, möchte er für die Stadt Wien noch mehr arbeiten…stellen’s ihnen des vor…noch mehr…dabei hat er kurz vor der Reise erst mitkriegt, dass es so was wie eine Arbeit gibt. Und mein Mausizahndi, der Herr Senatsrat, war hellauf begeistert von seiner Idee. Sofort hat er g’sagt, dass er seinem Plan zustimmt….(fängt furchtbar zu heulen an)….und jetzt bin ich die einzige, die nichts gekriegt hat außer diesen schäbigen Tisch von der Regierung, den sie aus dem Parlament hinausgeschmissen haben, weil sie das Parlament innen auch renovieren…da schmeißen sie alle Tische und Sessel raus…haben’s g’sagt…und der Tisch sei ein Werbegeschenk vom Bundeskanzler, net einmal (heult wieder) vom Bundespräsidenten….und dann hat dieser Weber sich hingestellt vor seinen Spiegel…mit seinem Aktenkoffer und hat g’sagt (mit verstellter Stimme, einen Mann nachahmend)…Mein Name ist…Weber…Mike Weber, Agent 001 im Auftrag der österreichischen Bundesregierung. Gerade in diesem Moment ist der Herr OGD Breitfuss bei der Tür herein gekommen, hat wieder einmal gefaulenzt wie früher, es war schon nach 9.00, und hat zu meinem neuen Chef, dem Herrn Weber gesagt.

Breitfuss: Sagn sie mal, Herr Kollege Weber…mit wem reden sie da…und was ist des…a Aktenkoffer?

Weber: Mein Name ist Weber, Mike Weber…Agent 001…

Breitfuss: San sie narrisch, das heißt doch anders…Wartens amal…und wie sie dastehn, völlig windschief…wie ein altes Haus mit einem kaputten Schornstein….so muss man dastehen…so (zeigt es vor, ganz lässig, macht sich dabei nur lächerlich)…Mein Name ist Bond…James Bond, Agent 007 im Auftrag ihrer Königin…

Dann haben diese beiden Streithammeln natürlich zum Streiten angefangen…jeder wollte der bessere Agent sein und den anderen ausstechen…und auf einmal ist die Tür aufgegangen und der Herr Sektions-…was sag ich, mein Mausizahndi, ist vor uns gestanden und hat mit uns geredet, na a Ansprach hat er g’halten.

Sektionschef: Meine Herren, soeben hat mir der Herr Bundeskanzler gratuliert, dass unserer Abteilung eine weiter wichtige Aufgabe zugeteilt wurde. In Zukunft können sich alle Österreicher und Österreicherinnen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, dem österreichischen Staat zu dienen, bei uns, bei der MA 2412 melden. Hier am Rande der Stadt werden in Zukunft die neuen Geheimagenten von unserem ehrenwerten Herrn Direktor Mike Weber ausgebildet…weil es in unserem schönen Österreich, besonders aber in der Stadt Wien nur so von Agenten wimmelt. Die Gemeinde Wien hat nun Gegenmaßnahmen ergriffen gegen diese Agentenflut und hat zu diesem Zweck den Herrn Direktor, der da vor ihnen steht, (Weber verbeugt sich stolz) mit dieser verantwortungsvollen Aufgabe betraut. Wie sie ja wissen, liebes Publikum, hat ja dieser Herr während seiner Asienreise wiederholt bewiesen, dass er dieser Arbeit gewachsen ist und somit erlaube ich mir, ihm heute das Verdienstkreuz der Stadt Wien im Namen des Bürgermeisters zu überreichen (heftet ihm das Kreuz an das Hemd und schüttelt ihm die Hand), da er, wie sie gesehen haben, alle Vorzüge und Fähigkeiten besitzt, um in den Dienst eines Geheimagenten zu treten.


Knackal: Ja, das war a Schock für uns alle, nicht nur für den Herrn Breitfuss…der auf einmal eine Konkurrenz da gekriegt hat…nein, auch für mich…denn stellen sie sich vor…dieser Weber da…(heulend)…für den muss ich jetzt auch arbeiten…bin seine erste Sekretärin geworden…und wissen's, was dieser Herr…eigentlich alle beide seither gemacht haben? Nichts, gar nichts…sie seien Beamte…sie hätten schon genug getan…sie waren schließlich auf einer Weltreise gewesen… und ich sitzt da und soll hakeln… da hab ich mir gedacht…ich bin ja nicht blöd, wozu arbeiten…zum Arbeiten ist der Herr Klaus da…aber…oh Schreck…der Herr Klaus…war leider nicht mehr der Alte…ich mein…so wie früher. Früher hat er Geschenke hergezaubert…jetzt wo ihn alle für einen…ah, das wissen sie ja gar nicht…. weil sie ja noch nicht die Fortsetzung gehört haben…ich verrat nur so viel…der Herr Klaus hat uns allen einen ordentlichen Schrecken eingejagt…in Asien da drüben…und erst der Herr Breitfuss….(steht vom Schreibtisch auf) Jetzt reden die drei schon seit einer Viertelstunde und das geht noch mindestens zwei Stunden so, den ganzen Tag telefonieren sie nur…wie soll da einer arbeiten…ich weiß was…ich hole mir jetzt den Film her…na sie wissen schon…über unsere Reise…den wollens bestimmt sehen…und schau mir den am Computer an….hihihi….das habe ich in Japan gelernt, wie man eine DVD in den Computer einlegt und dann auf eine Taste drückt…wartens einmal….(drückt, es tut sich nichts)…nein, die ist es nicht…na vielleicht die da…die ist es auch nicht…ja, der Computer hat viele Tasten…und nur eine Maus…das hat mir der Misukazimoku…oder wie der geheißen hat, in Tokio erzählt…aber sie wissen ja die Geschichte…was? Die kennen sie nicht? Sie kennen noch immer nicht die ganze Geschichte von der MA 2412…na so was…und ich hab dacht…na, dann wissen sie ja nicht, was der Herr Breitfuss angestellt hat…und der Herr Weber….bitte…ich war ganz brav…nur ein paar Mal…sind ein paar Sachen passiert….jetzt habe ich die richtige Taste (es zeigt sich ein Bild, man hört den Ton, Film läuft weiter)…sehen sie…na, was reden sie da…sie haben ja doch was gesehen…jetzt (schaut in den Computer hinein und drückt eine Taste) sie haben schon fünf Kapitel angeschaut…das weiß ich…das steht da geschrieben…bin ich nicht auch eine Superagentin…na, ich glaub schon…was denken sie…oder soll ich gleich zum Fernsehen zum Film gehen…ich würd'sagen… wir schauen uns mal den Film weiter an…bis diese drei Männer mit ihrem Telefonat fertig sind.

Montag, 13. September 2010

GEDICHTE

Schweigen

Mein Schweigen
ist anders
als euer
öffentliches Schweigen
Ihr schweigt
aus anderen Gründen

Ihr schweigt
aus Feigheit
und Stolz
aus Angst
und Verzweiflung
aus Hass
und Machtgier

Ihr schweigt
weil ihr keine Rettung seht
keine wirkliche Lösung findet
schweigt weiter
weil euch das
Schweigen gelehrt wurde

Mein Schweigen
ist erst entstanden
vor kurzem
nach eurem langen Schweigen
Mein Schweigen
ersetzt eures nicht, nein

Mein Schweigen
ist anders
es ist kein totes
sondern noch immer ein lebendes
vom Leben erfüllt
es folgte den Worten
die gerichtet waren an euch

Euer Schweigen
dauert schon ewig
mein Schweigen
einen kurzen Moment
Mein Schweigen
wird euer Schweigen überdauern
dessen bin ich mir gewiss

Mein Schweigen
war die Antwort
auf meine Bitte
an euch
das ewige Schweigen
zu beenden

Ich kann
nicht mehr schweigen
und muss schweigen
weil euer Herz
noch immer verschlossen ist
und weil mein Schweigen
anders ist



Ihr habt

Ihr habt
der Liebe abgeschworen
sie an die letzte Stell’ gesetzt
Ihr habt
sehr vielem abgeschworen
und diese Liebe
durch anderes ersetzt

Ihr habt
den Krieg
aufs Podest erhoben
die Gier, die Macht, das Geld
Ihr habt
der Liebe abgeschworen
darum bemüht ihr euch
um diesen Dreck, diesen Rest

Ihr habt
den Mitmensch’
seiner Würd beraubt
nennt ihn jetzt Feind
und Terrorist
Ihr habt
der Liebe abgeschworen
und zeigt nun jedem
dass er ist schlecht

Ihr habt
die Kinder falsch erzogen
ihr lügt sie an
wie mich und dich
der einzig wahren Liebe
habt ihr
abgeschworen,
glaubt mir,
eure Welt, sie ist schlecht

Ihr habt
das Schlimmste uns angetan
ihr wollt das Schlimmste weiter tun
ich weiß
ihr habt
der Liebe abgeschworen
ich weiß nicht weiter
ihr habt der Liebe abgeschworen
und glaubt, ihr seid auf ewig hier verloren