Mittwoch, 28. März 2012

DU und ICH, Roman, Texte



Nicht die Symptome sehen und bekämpfen, die Ursache herausfinden und echte Lösungen anstreben und sie in die Tat umsetzen. Niemand wollte dorthin gehen und diejenigen, die es versuchten, die es wagten, da auszubrechen, die wurden wie schon zur Zeit der Römer und Griechen, ausgebootet, vertrieben, verjagt, an den Pranger gestellt und niemand sollte ihnen helfen. Doch es gab Hilfe, hier gab es in diesem Land noch Menschen, die sich an die wesentlichen Dinge erinnern konnte, die wussten, was Armut bedeutete und worauf es eigentlich im Leben ankam. Da half auch keine westliche Gehirnwäsche, das man jetzt leben, das Leben genießen sollte, denn der Gedanken war ja nicht verwerflich, nein, bestimmt nicht. Doch wie konnte das geschehen, ohne dass jemand darauf zahlte, für etwas büßen musste, was er nicht verbrochen hatte? Was diese Gleichmacherei, diese Gleichheit betraf, so wusste ich wie viele andere aus dem Westen, dass diese sogenannte Einheitsrichtung nicht das war, was es hätte sein sollen. Brüssel war zu weit weg, Kontrollen waren schwer durchzuführen und kosteten irre viel Geld und Zeit, die Korruption war bei uns noch immer im Vormarsch und seit Jahrzehnten wurde unsere westliche Politik andauernd von Skandalen erschüttert, sodass ich mich wiederholt gefragt hatte, warum diese Leute überhaupt noch an die Demokratie glaubten. Das war nämlich keine, es ging hier ja gar nicht um das Wohl des Volkes, den Willen des Volkes, das Wohl der gesamten Menschheit, das war ein Irrglaube, eine weitere Ideologie wie damals dieser kommunistische Gedanke, der hier 70 Jahre gewütet hatte. Was die Religionen betraf, die es neben diesen Ideologien gab, sie konnten mit ihnen mitziehen, man sah heute, was sie angerichtet hatten, das wissen wir ja, die Kirchen steckten überall in ihren Krisen, sie konnten für eine Ideologie kein Ersatz sein, keine echte Alternative. Nein, Riga hatte noch immer viele wunderbare Seiten und darum fuhr ich seit Jahren nicht mehr in den Westen, sondern in den Osten, weil es da noch Menschen gab, denen man vertrauen konnte, die noch auf etwas hofften, Wünsche hatten. Genau genommen war unser Westen wunschlos geworden, tatenlos, geldlos, arbeitslos, das waren viele hier im Westen wie auch im Osten, und – nicht glücklich. Warum eigentlich? Sie besaßen doch freie Wahlen, nach denen früher pausenlos geschrieen wurde, sie besaßen ihre Freiheit, das stimmte. Sie hatten leider sehr viel übersehen wie wir im Westen und darum waren sich die Menschen hier so ähnlich. Viele ältere Menschen bei uns bekamen im hohen Alter plötzlich so aufgeschwemmte Gesichter, Zeichen von falscher, einseitiger Ernährung, Fastfood Esser, Schnellkonsumierer. Ich hätte es mir nicht träumen lassen, eine Generation zu erleben, in welcher der eine Mensch dem anderem ziemlich ähnlich schaute, und genau das war passiert. Da saß vorhin dieses übergewichtige Kind und stopfte ein Eis nach den anderen hinein, verschlang dann noch Pommes und trank dazu jenes scheußliche Getränk, das ich am liebsten in den Kanal geschüttet hätte. Wusste wirklich niemand mehr, dass man auf seinen Körper achtzugeben hatte? Dann hatte dieser frech erzogene Lausebengel, der gar nichts mehr konnte außer laut zu schreien und zu kreischen, eine halbe Stunde lang seinen Handy Ton eingeschaltet. Der Mann mit der Zeitung am Nebentisch dieser Touristenfamilie hatte widerholt herüber geblickt, auch er konnte es nicht fassen, was er da zu Gesicht bekam. Eine fettleibige Mutter, die wie ihr Sohn alles gierig verschlang, so als würde sie vor Hunger sterben, der Tisch, an dem die drei saßen, bog sich förmlich vor leeren Tellern, Tassen, und leergetrunkenen Gläsern. Ich wollte gar nicht zuhören, was die beiden, das so traute Ehepaar, zueinander sprach. Der Mann am Tisch blickte mehrmals auf und aus seinen Verhalten konnte ich entnehmen, dass er der Sprache dieser Touristen fähig war. Ich wollte gar nicht zuhören, musste es aber. Sie schimpfte über irgendetwas, meckerte ständig an den Leuten herum. Er pflichtete ihr in diesen Dingen bei, redete aber dazwischen von anderen Sachen, die sie nicht hören wollte. Kurzum es war kein Gespräch, kein sinnvolles Miteinanderreden, ein ständiges Nörgeln, kein passender Dialog für einen Urlaub, denn das sollte es meiner Meinung nach sein. Doch vielleicht waren beide, er, der Mann und sie, seine Frau, nur froh, endlich mal Dampf ablassen zu können. Es störte sie hier ja alles, alles war zu billig und nicht gut genug, dann wurde noch über diese primitiven Einheimischen gequasselt, die stundenlang hier die Gäste bedienten und nicht genug Geld verdienten. Ich wollte nicht mehr zuhören, denn es hatte mir gewaltig den Magen umgedreht, nachdem ich ihre schäbigen Worte vernommen hatte. Der einheimische Mann hatte sich endlich wieder seiner Zeitung gewidmet, auch er durfte nicht erfreut gewesen sein über diese Kommentare über sein Land und seine Bevölkerung. Ich trank einen Schluck Tee damals und fragte mich still und leise, warum diese Touristen überhaupt in dieses Land reisten, wenn hier nur alles billig und schlecht war. Warum waren sie nicht in ein Luxusappartment gereist, ein Fünfsternhotel oder gleich in diese Luxusstädte wie Dubai gezogen? Wahrscheinlich waren sie doch nicht so reich, wie sie sich hier zeigten, doch nicht so zufrieden, wie sie allen zeigten wollten? Hier gab es noch immer bitterarme Menschen und denen konnten sie ihre Frustration, ihren Willen aufzwingen, ihre Macht zeigen. Kommt doch alle zu uns in den Westen, wir sind nämlich alle so frustriert, wir wollen alle nicht mehr arbeiten, weil wir ausgelaugt und ermüdet sind. Die, die da oben an der Spitze des Staates standen und noch immer heute stehen, die konnten es sich richten, schon vor Jahrzehnten. Wir sind jetzt die Blöden, die Jahrzehnte lang geschuftet haben. Wir wollen auch unsere Rechte. Wir sind genauso korrupt wie sie geworden und jetzt wollen wir eine anständige Bezahlung, eine anständige Pension und uns nicht aussperren und erpressen lassen wie sie es bisher getan haben. Das waren Worte, die sich kaum einer hier laut auszusprechen traute. Es war bereits zu einem Wagnis geworden, seine Meinung kundzutun, etwas zu tun, was der einen vorgegebenen Linie nicht entsprach. Diese drei Leutchen hier waren alle nur frustriert und schon lange auf dem falschen Weg. Der Kleine da mit seinen Spielzeug, seinem Super-Handy, fummelte eine halbe Stunde beim Tisch sitzend nur so herum. Es knallte laut, er schrie irgendwelche laute Worte hinzu, die mich davon überzeugten, dass er nicht nur faul und übergewichtig, ein zukünftiges Diabetikerkind war, sondern auf sprachlich gefördert werden musste. Wie erging es diesem Kind in der Schule, wenn er nur diesen geringen Wortschatz gebrauchte? Nicht dass er nur die ärgsten Schimpfwörter verwendete, das störte mich eigentlich nicht, doch die Art und Weise, wie er sich benahm, was er sagte, sein gesamtes Gehabe, sein Verhalten, ließen mich zu dem Schluss kommen, dass er wie sein Vater und seine Mutter enorme Defizite haben musste, nicht nur sprachliche Defizite, die nicht rechtzeitig erkannt und beseitigt wurden, Defizite, die seine Gesundheit beeinträchtigten, seinen Geist und seine Gefühle. Der Junge, wusste nicht, was Armut war, was Mitleid oder Mitgefühl war, der war zu brutal. Wahrscheinlich saß er stundenlang vor dem PC oder Fernseher und durfte sich dort austoben, währen das traute Paar sich einander beflegelte, die aufgestaute Wut raus ließ. Ich hörte wirklich kein einziges freundliches Wort der Frau zu dem Mann, ständige Nörgelei, sie war mit nichts zufrieden. Das – dachte ich - sollte der wunderbare Westen sein? Ständige Unzufriedenheit, ständiger Geldmangel, ständiger Mangel an wahrer Liebe? Nein, ich hatte schon in Polen wunderbare Menschen gefunden, die mich Fremden liebevoll begrüßt hatten, Menschen, die noch Anstandsregeln kannten, nicht diese moderne Erziehung, die genau genommen keine Erziehung war, ich hatte Menschen gefunden, die noch ein Ziel kannten, die wussten, dass Arbeit notwendig war, nämlich die eigene Arbeit, Menschen, die nicht wollten, dass man ihnen alles schenkte, sondern die nur gelegentlich Hilfe suchten und sie auch fanden, weil sie noch treue Freunde hatten. Im Stillen dachte ich mir, dass diese typische westliche Familie mir nur leidtun konnte. Sie verkörperten das, was sich manche von der einheimischen Bevölkerung erträumten, ein Ideal, weiter nichts. Einen sicheren Arbeitsplatz mit guter Bezahlung, endlich so viel Geld, dass man es bedenkenlos ausgeben konnte. Bei letzterem Gedanken wurde mir schlecht. Nicht einmal ein sehr reicher Mensch sollte bedenkenlos sein Geld zum Fenster hinausschleudern und in Zeiten wie diesen schon gar nicht. Was also hatte der Westen, was ihn so faszinieren machte, dass man überall versuchte, ihm nachzueifern, ihn zu kopieren? Mir fiel lange nichts ein, doch dann stand da plötzlich ein Wort im Raum, ein sehr mächtiges: Propaganda. Eine Ideologie braucht Propaganda. Wir hatten hier die mächtigen Medien, jeder guckte nach dem Westen, schaute weiter und immer weiter nach dem goldenen Westen und kaufte jeden Artikel, den es nur bekommen konnte. Modern sein, auf dem letzten Stand der Dinge sein, den letzten Schrei in diesen tollen Geschäften kaufen zu einem Schnäppchenpreis. Mich fröstelte es plötzlich bei diesem Gedanken. Der Westen hatte sich zum Gespött machen lassen, hatte auf seine Klugheit und Weisheit verzichtet und darum liefen überall diese Volkstrotteln herum, anders konnte ich diese Menschen nicht mehr nennen. Sie benahmen sich wie diese, verlangten von anderen, dass man sie nachahmte und kein Wunder, dass es überall nur so von Gehirngeschädigten wimmelte. Diese Menschen hatten alle kein integriertes Gehirn, schon gar nicht in Stresssituationen. Sie konnten in Krisenzeiten nicht auf beide Gehirnteile zurückgreifen und eine einheitliche Lösung streben. Volksverblödung nannten es manche bei uns, die schon vor Jahren da eingesetzt hätte, ich würde es gezielte Propaganda nennen, Medienbeieinflussung, gezielte Politik, die so fein durchdacht war und doch eigentlich leicht durchschaubar, wäre man nicht zum Faulsein erzogen worden, zum Abschieben von Verantwortung, wäre man nicht abgewichen von der Erziehung, wie ich sie erlebt hatte in meiner Vergangenheit bei den eingeborenen Völkern der Erde. Uns mangelte vieles, das wusste ich, ein einheitliches Weltbild, ein einheitliches, auf das Wohl aller Menschen ausgerichtetes Bewusstsein, das auf Liebe basierte.