Donnerstag, 15. März 2012

aus: Jeder Tag ein guter Tag



Akt 3)

Der Vorhang ist geschlossen, der stille Beobachter steht vor dem Vorhang und spricht zum Publikum.



Stille Beobachter: Der fünfte Akt wird einfach gestrichen. Der wird nicht gespielt, der ist schon lange nicht mehr aufgeführt worden, warten sie mal, vor einigen Jahrtausenden, ich glaube, das war im Paradies, da führte man den fünften Akt auf, doch bei uns, an diesem Theater, fällt er weg. Die Leute wollen ihn nicht aufführen, sie wollen ihn nicht spielen, sie finden das Ganze – diesen einen Akt lächerlich, verstehen sie. Liebe, Freude, Freiheit, Leidenschaft, Frieden! Nein, der fünfte Akt wird heute, hier auf dieser Bühne nicht gespielt. Wo kämen wir da hin. Die großen Planer, die Planer des heutigen guten Tages, die haben ihn schon längst abgeschrieben, den darf es nämlich nicht geben, denn – sonst gibt es keinen ersten Akt, keinen zweiten und dritten, dann gäbe es nämlich auch alle anderen Akte nicht, und sie wollen doch viele Akte sehen, viele Varianten von ein und demselben Akt erleben, der da heißt: Heute ist wieder ein guter Tag, so gut wie jeder andere. Alles wurde geplant, alles im Voraus gedacht und durchgesetzt, und sie brauchen nichts anderes zu tun, als zuzustimmen, Ja zu sagen, zu dem Werk von einigen Wenigen. Ist das nicht toll? Wen kümmert es, dass es diesen einen Akt nicht gibt, wen? Sagen sie es mir, außer diesen paar Verrückten da auf der Welt, die mit jedem Tag immer weniger werden. Keine Menschenseele kräht nach diesem fünften Akt, alle sind damit beschäftigt, die einzelnen Akten zu studieren, zu hinterfragen, die geben so viel zu denken auf, und bis die Menschen einmal alles erfasst haben, was da so läuft auf der Bühne des Lebens, sind die nächsten Akte schon längst geschrieben. Ja, die Schreiber, die Verfasser dieses Bühnenstücks, sind nicht faul gewesen, sie haben geschrieben, Tag und Nacht, haben sich unzählige Varianten dieses einen Aktes überlegt und diese bekommen sie alle zu sehen, alle, denn es sind ja nicht so viele, wie sie denken. Sie dürfen sie sich aussuchen, na freilich. Sie da drüben in der ersten Reihe, sie brauchen gar nicht so komisch mich anschauen, und sie meine Dame da in den hinteren Reihen. Wir haben hier ein modernes Theater, sie dürfen auch etwas tun, sie dürfen mitentscheiden. So vieles in ihrem Leben dürfen sie nicht entscheiden, aber hier, auf unserer Bühne haben sie Entscheidungsfreiheit. Sie, liebes Publikum entscheiden über die nächsten 30 Minuten. Wollen sie noch einmal Akt 1 sehen oder Akt 3, oder gar den vierten? Nur Akt fünf nicht, der ist verboten. Wir bieten ihnen auch, verehrtes Publikum, eine neue Möglichkeit an, wir bieten ihnen eine Kurzfassung an von allen Akten mit einigen kleinen Variationen. Da kommt das Stück dem Leben wahrlich näher. Also, wer stimmt dafür? Ah sie, sehr gut, und da noch ein Herr und da drüben eine Dame und noch eine Dame. Ich danke ihnen, dass sie mir zustimmen, wir spielen also eine Kurzfassung von dem Ganzen, eine immer kürzer werdende Fassung, weil sie es so wollen und sie werden begeistert sein und mir zustimmen, dass das, was sich die Planer dieses guten Tages ausgedacht haben für sie, für die ganze Menschheit, langfristig gesehen von großer Dauer sein wird. Sie werden diesen einen Tag nicht vergessen, sie können gar nichts anderes, als ihn in Erinnerung aufzubewahren. Das ist ja das Schöne daran, dass sie nicht vergessen wie alle anderen. Dieser eine Tag wird noch lange in aller Erinnerung bleiben, und morgen, gibt es einen weiteren guten Tag, für sie alle. Ist das nicht wunderbar? Werden sie hier sein und uns, den Schauspielern applaudieren, werden sie danke sagen den Planern ihres Lebens, dafür, dass man alles ihnen abgenommen hat, sogar das Denken, das selbstständige Denken? Sie nur mehr nicken müssen, sie brauchen heute nur mehr mit dem Kopf nicken und wir wissen Bescheid. Schön ist das, ich finde es schön wie sie, und darum lasst uns noch einmal beginnen, ein letztes Mal diese Kurzfassung des Lebens bringen, dieses Mal, liebe Leute wird es alle erwischen, groß und klein, alt und jung, alle werden es wissen, was wir da auf der Bühne vollbracht haben und der Applaus wird uns gewiss sein. Fragen sie nicht, wie wir das tun. Wir tun es mit Begeisterung, sehen sie nicht. Wir sind alle überzeugt worden, dass dies für uns von Vorteil ist. Sie werden es wissen, wenn sie das ganze Stück gesehen haben, denn bis jetzt, haben sie ja nur die längere Version gesehen, da haben sie nicht viel verstanden, es wird tiefgründiger, durchsichtiger für sie. Sie werden auf einen Blick erfassen, wo sie sich wirklich befinden. Nämlich auf einem Abgrund, wenn sie nicht endlich was tun und den großen Planern danken für ihr gutes Werk. Jetzt aber, Menschen dieser Welt, lassen sie diese kurzen Szenen des Lebens an ihnen vorüber rauschen. Es betrifft sie nicht, da gibt es andere, die es betrifft. Sie fallen da nicht darunter, nur zu ihrer Information, es lohnt sich gut aufzupassen und sich nichts entgehen zu lassen, denn sie werden dann mehr wissen und sie werden begeistert sein, begeistert von allem, was die für uns tun. So begeistert werden sie sein, dass sie nichts anderes tun wollen, als mitzumachen, ebenfalls wie diese großartigen Planer sich an dem einen Plan beteiligen wollen und darum rufe ich jetzt allen zu, macht die Augen auf und schaut (Vorhang geht auf, es ist nur die leere Bühne zu sehen wie am Anfang) und beobachtet, seid wie ich, der stille Beobachter und sagt euch, das Leben geht weiter und es betrifft mich nicht.(geht ab)