Montag, 12. März 2012

BAND 14, DU UND ICH ROMAN



Ich hielt einen Moment inne, war mir wieder bewusst, dass ich in Riga, in Lettlands Hauptstadt, war und nicht in Polen bei meinem viel geliebten Freund, der sich unbekannten Phänomenen näherte. Nein, ich saß hier in einem Kaffeehaus und erinnerte mich an den letzten Tag meiner letzten Polenreise. Ich war spazieren gewesen und hatte gedanklich einen kurzen Rückblick gemacht, nachgedacht über das, was mir hier wiederfahren war. Ursprünglich war ich aus anderen Gründen nach Polen gereist. Es war ein Reporter, der mich in dieses Land brachte und mir von dem schrecklichen Unfall schilderte, den dieses Land erfahren hatte vor einiger Zeit, dazu hatte er noch genauere Hintergrundinformation geliefert und ja, dann waren wir losgefahren und ich hatte so manche Gegend erkundigt, wo amerikanische Waffen stationiert waren, die uns Europäer vor dem angeblichen Feind Iran schützen sollte. Angesichts der Tatsache, dass die russische Grenze nicht allzu fern war, wussten damals wir beide, der Journalist und ich, dass dieser Akt der Stationierung mehr als nur eine Provokation war. Doch wir schwiegen in dieser Stunde beide, eingedenk, dass nur eine Lüge aus dem Westen, eine einzige wohlgemerkt, über Krieg und Frieden so vieler Millionen Menschen im Osten entschied. Denn das die Polen auch die Opfer waren, war uns schon lange vorher klar geworden. Nun saß ich in Riga und dachte daran, was mir auf meiner ersten Polenreise passiert war und erinnerte mich einen Moment später an das, was in jener letzten Nacht meines letzten Aufenthaltes geschehen war. Ich hatte mich aus dem Lokal begeben und wollte nach Haus. Ich trat ins Freie und musterte den Himmel. Weit und breit waren nur Sterne, nichts deutete darauf hin, dass in diesem kleinen Dörfchen Wissenschaftler jede Nacht auf der Suche waren nach den letzten Geheimnissen des Universums, nach Leben da draußen im Weltall. Die Luft war kalt und ich sah diese Wesen selbstverständlich nicht. Ich hatte noch nie ein Raumschiff oder Alien entdeckt, doch in jenem Augenblick hatte ich eine Vision, während ich auf mein Zimmer schlich. Ich öffnete leise die Haustür, drehte den Schlüssel lautlos um, um niemanden zu wecken, und spürte diese Kraft in mir. Sie wich nicht von mir, bis ich im Zimmer stand, das Licht aufdrehte im Badezimmer und mein Bett ansteuerte. Für einen kurzen Moment sah ich mich ganz flüchtig in dem Spiegel und gleich daneben noch ein Wesen. Ich wusste sofort, dass dies ein Engel war, warum, kann ich nicht sagen. Sofort drehte ich mich um und steuerte vom Zimmer aus zurück ins Badezimmer und blickte in den Spiegel. Niemand war zu sehen, nur ich, doch ich war mir sicher, dass ich jemanden anderen gesehen hatte, eine zweite Gestalt, und diese Kraft in mir war noch immer da. Ich hatte mich sicher nicht geirrt. Ich löschte die Lampe aus, legte mich, so wie ich war, angezogen, ins Bett und dachte nach.




Meine Augen waren müde, trotzdem fiel ich nicht in einen Schlaf, eher in eine Art Meditationszustand. Ich war hellwach, hörte mehr, spürte, dass in diesem Raum ein Wesen anwesend war und Farben vor meinem Gesicht traten in Erscheinung. Ich erkannte vor mir eine Frau. Es war eine Mutter, die in den Wehen lag. Sie erwartete soeben ihr Kind, ihr ungeborenes Kind. Ich spürte, wie sie sich freute, dass ihr Baby zur Welt kam, ich wusste, dass sie überglücklich über dieses Geschenk war. Dann änderte sich mit einem Schlag alles. Ganz zuerst war da sie, die Frau, die nicht merkte, dass sie schwanger war, die das Kind absichtlich nicht anerkannte, spürte, fühlte. Sie wollte es nicht. Dann kam die furchtbare Erkenntnis, die in meinem Bauch ungeheure Schmerzen hinterließ. Sie wollte mich nicht, meine Mutter liebte mich nicht, wollte kein Kind, wollte mich nicht. Ich war nicht erwünscht gewesen. Das war der Grund, warum ich als Ungeborenes starb, das war die Ursache für die Fehlgeburt meiner Mutter. Meine eigene Mutter hatte mir öfters in meinem Leben erzählt, dass sie vor meiner Geburt ein Kind verloren hatte, mehr hatte sie nicht erwähnt. Nur – in diesem Bett in Polen spürte ich meinen eigenen Schmerz als Ungeborenes, und – die Gleichgültigkeit meiner Mutter. Ich weiß nicht, wie lange diese Vision angedauert hatte, irgendwann war ich bei mir und drehte das Licht auf. An Schlaf konnte ich in dieser Nacht nicht denken, obwohl ich es versuchte. Irgendwann hatte mich der Schlaf dann doch übermannt und ich erinnerte mich am Morgen, von dem Engel geträumt zu haben. Er trug menschliche Züge, er erinnerte mich an irgendetwas, das mir erst später einfiel, als ich wieder an die verrückte Menschheit dachte, an die Vorurteile, Voreingenommenheit von uns Menschen. Wir alle trugen in uns ein Trauma, ein Trauma aus einer Zeit vor unserer Geburt. Männer hatten es da besonders schwer, das hatte ich verstanden. Die Frauen dieser Welt hatten es etwas leichter, dachte ich zunähst. Frauen konnten Kinder gebären, Frauen konnten, so fand ich bei meinen Überlegungen, leichter bedingungslos lieben lernen, so mein Irrtum. Ich dachte, dass eine schwangere Frau ein Ungeborenes nie zuvor gesehen hatte. Sie fühlte es eines Tages und obgleich sie diese Kind nie zuvor gesehen hatte, es weder betastet, mit ihm gesprochen hatte, liebte sie es. Irgendwann liebten alle Mütter ihre Ungeborenen. Dass dies nicht stimmte, wusste ich selbst. Doch in diesem Moment ging ich davon aus. Frauen war es leichter möglich jemanden zu lieben, den sie niemals zuvor gesehen hatten, weil sie selbst diese Erfahrung bei ihrem eigenen Kind erlebt hatten. Irgendwann kam die furchtbare Realität ins Spiel. Ich wusste, dass dies nicht auf alle Frauen zutraf, ich erkannte, dass auch Männer bedingungslos lieben konnten, wenngleich sie niemals ein Kind in ihrem Körper würden austragen können. Jeder konnte einem wildfremden Menschen dieser Erde mit Würde und Anstand, mit Respekt begegnen. Jeder konnte jeden jederzeit bedingungslos lieben. Taten wir es? Nein, weil wir unser Trauma hatten. Unsere Mütter hatten uns nicht geliebt, zu wenig geliebt, zu spät angefangen uns zu lieben, Bedingungen gestellt für ihre Liebe zu uns.Liebe mit Vorstellungen, ihren eigenen Wünschen verwechselt, Liebe an Leistung gebunden und sie letztendlich ersetzt. Wir konnten nur das lieben, was wir vor uns sahen, worauf wir fixiert waren. Das war das große Schicksal, das die Menschheit derzeit ertrug. Sie glaubte nur das, was sie sah, egal, ob es vorgetäuscht wurde oder der Wahrheit entsprach. Die Neue Weltordnung machte vor nichts Halt. Filme gaukelten uns etwas vor, Medien ebenso, man verpasste uns eine Gehirnwäsche weiter nichts. Aber es existierte für die gesamte Menschheit noch ein anderen Plan, und zwar der der Seele. Die Seele war nicht sichtbar, die Seele war eine unbekannte Kraft und so wie die schwangere Mutter sich an ihrem unbekannten Kind erfreute, es liebte, obgleich es dieses noch nie gesehen hatte, noch nie berührt und mit ihm gesprochen hatte, war eine wahre Mutter in der Lage etwas Unbekanntes zu achten und auch zu lieben. Viele Menschen, Frauen, Männer, Kinder trugen so ein vorgeburtliches Trauma bis auf den heutigen Tag mit sich herum. Sie waren sich in den meisten Fällen dessen nicht bewusst. Eines waren aber sie sich gewiss, da draußen gab es einen Feind, etwas, das sie nicht kannten, wovor sie sich fürchteten, fremde Menschen, die sie angeblich hassten und dies sie aus unbekannten Gründen ablehnten und ebenso hassten und verachteten, Feinde eben. Wenn man ein Ungeborenes ablehnte, sagt die moderne Medizin, konnte es passieren, dass diese ungeborene Kind im Mutterleib starb, und auch wenn es später doch zur Welt kam, mit einem großen inneren Schmerz in der Welt herum lief. Mangelnde Liebe, bedingungslose Liebe war das Schlagwort, die Lösung aller Probleme.