„Sie lieben nicht, weil sie nicht lieben können. Sie alle haben es nie gelernt. Es war niemand hier, der sie gelehrt hat, der sie erinnert hat, was wahre Liebe ist, wie man ein menschenwürdiges Dasein führt. Sie haben keinerlei Erfahrungen mit dieser bedingungslosen Liebe gehabt, ganz im Gegenteil, ihre Eltern haben sie nicht wirklich geliebt, ihre Freunde nicht, in der Schule wurden sie nicht wirklich geliebt, und im Berufsleben auch nicht. Du weißt am besten, wie es in einem Beruf zugehen kann. Woher sollen die Menschen wissen, was wahre Liebe ist, wenn keiner da ist und ihnen zeigt, wo es lang geht. Glaube mir, alle Menschen haben sie irgendwann für einen kurzen Moment erfahren, vielleicht für einen sehr kurzen Moment, doch es wurde uns allen verwehrt, diese Liebe zu akzeptieren, sie anzunehmen, sie in unser Leben zu integrieren. Wir Menschen leben nicht bewusst. Noch immer bestimmt unser Unterbewusstsein den größten Teil unseres Lebens, und dies bedeutet, unsere Traumata aus der Kindheit, aus der pränatalen Phase bestimmen unser Erwachsenendasein, seit Anbeginn unseres menschlichen Daseins als Fötus werden wir mit dieser Unmenschlichkeit, Grausamkeit konfrontiert. Wir erleben nichts anderes als Leid, Schmerz, Trauer, Verlustangst, Ablehnung, Hass und Wut. Wer von dieser ehrenwerten, so christlich gesinnten Welt, nimmt uns an, so wie wir sind? Die Menschen können diese Liebe nicht finden, wie man ein Auto oder ein paar Schuhe finden kann in einem Kaufhaus. Das ist unmöglich. Unsere Erziehung heute ist nicht darauf ausgerichtet aus uns „bewusste Menschen“ zu machen, die wissen, was sie sagen und denken, warum sie das tun, was sie tun. Unser Höheres Bewusstsein, unsere Seele, hat in unserer Welt nicht das Sagen, begreifst du es? Die Menschen haben die Lehren des Universums vergessen, sie haben, wenn du so willst, auf viel zu viel vergessen. Es ist heute nicht modern, nachzudenken, selbstständig zu denken über sich selbst. Die meisten haben auch dazu keine Zeit, denn sie müssen Geld verdienen, um zu überleben. Sie haben tausenderlei Ängste, und viele von ihnen sind nicht unbegründet. Da bleibt für die Liebe keine Zeit, das stimmt.“ „Doch warum suchen sie nicht mehr, warum wollen sie nicht finden, die wahre Liebe finden?“,sprach er voller Verzweiflung und wandte sich ab und ging ein paar Schritte weiter. „Weil sie nichts gefunden haben, das ist der Grund, das ist der wahre Grund. Die Liebe ist nicht in unseren Lügen zu Hause, auch nicht in unseren Illusionen, das ist es. Die wahre Liebe hat ihr eigenes Reich und dorthin zu gelangen ist heute schwerer denn je.“
Wir schritten den ganze Weg, den wir vorhin marschiert hatten zurück, kalt war es noch immer, der Schnee lag auf den Feldern und nur ein paar Vögel ließen sich blicken. „Als du mir dieses Gedicht gabst, glaubte ich meinen Augen nicht zu trauen. Ich dachte ich wäre verrückt. Du selbst hast an der Liebe gezweifelt, hast sie gesucht wie einer von diesen verrückten, größenwahnsinnigen Menschen von heute….“ „Und ich habe sie gefunden, das stimmt. Irgendwann finde ich immer etwas, weißt du?“, sagte ich schelmisch zu ihm. „Jeder findet etwas, tagtäglich, doch wie du das verwertest, was du gefunden hast, das ist die Sache jedes einzelnen.“ Er entgegnete nichts mehr, hielt aber nach wenigen Metern inne und wandte sich erneut mir zu. „ Als ich begann, mich der Liebe anzuvertrauen, da kannte ich sie nicht, ich – und andere Frauen“, hub er an. „ Ist das dein Ernst, Helena? Du kanntest die wahre Liebe nicht, wo du mir oft genug mitgeteilt hast, dass sie ewig ist, nie zerstört werden kann?“ „Das ist richtig, die wahre Liebe ist ewig, nichts kann sie zerstören, nichts sie beschmutzen, und doch kannte ich sie nicht. Ich wusste nur von dieser anderen Liebe, dieser falschen, und – ich kannte den Unterschied nicht zwischen der einen, die letztendlich keine ist und der einen, der wahren. Ich musste mir erst bewusst machen, dass ich sie niemals erlebt hatte, diese wahre Liebe – und dies, mein Lieber – ist ein sehr schmerzhafter Prozess, den heute viele Menschen nicht beschreiten wollen. Es ist der schmale Pfad der Seele, den die heutigen Erdbewohner nicht bereit sind zu gehen. Sie schämen sich, sie weigern sich, sie können diesen erlittenen Schmerz nicht annehmen. Sie können sich nicht annehmen. Die Angst hindert sie, und glaube mir, es sind nicht irgendwelche Ängste, es sind die schlimmsten Ängste, die es gibt. Wenn es um die Liebe geht, so geht es um Sein oder Nicht – Sein, um Leben und Tod. Wer gibt gerne zu, dass er bisher als Toter durchs Leben gegangen ist, dass man ihm alles genommen hat, das Allerwichtigste in seinem Leben, dass sein Leben unerfüllt war, leer war, das man ihm das gestohlen hat, was er am notwendigsten gebraucht hätte? Niemand will das wirklich wahrhaben, freiwillig, meine ich, wenn nicht das Leben letztendlich dich dazu bringt, der bitteren Tatsache ins Auge zu schauen und sich irgendwann einzugestehen, dass man von Geburt an, eigentlich vom Zeitpunkt der Zeugung an, einschließlich der neun Schwangerschaftsmonate, immer wieder um diese Liebe betrogen worden ist, sie niemals oder nur sehr selten erfahren hat. Wer von uns, wer von den Menschen heute ist bereit zu sagen, dass er sich selbst annehmen kann, zu allem stehen kann, was er je getan hat, was er je gesagt oder gedacht hat – und das annehmen kann, was ihm je widerfahren ist. Keiner, denn dies hält niemand aus. Den furchtbaren Schmerz, das unsägliche Leid, wir reden hier von den bittersten Erfahrungen, die sich der Mensch wird stellen müssen, bevor er sich der wahren Liebe zuwenden kann, sich einzugestehen, das – halten nur wenige aus. Annahme, verstehst du, dies ist das Schlüsselwort. Ohne Annahme keine Liebe, sondern wieder nur Wut, Zorn, Hass und Gewalt. Annahme ist der Beginn und darum, mein Lieber, auch der Anfang meines Gedichtes.
Als ich begann
der Liebe zu vertrauen
da kannte ich
sie nicht
ich und viele Frauen